von Diana Schüllner
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18 Feb., 2022
Alle Eltern haben es bereits erlebt, auch bei Kindern ohne Diagnose. Kinder mit der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung und/oder ADHS sind von solchen Wutausbrüchen wesentlich mehr betroffen. Nicht selten sind solche Ausbrüche mehrfach täglich an der Tagesordnung. Aber woran liegt das? Dazu müssen wir uns ansehen, was Wut ist und wie es zu einem Wutanfall kommt. Denn zu verstehen, was zu einem Wutanfall führt, hilft uns Eltern, diesen gelassener zu sehen. Seien Sie gewiss, dass Ihr Kind keinen Wutanfall hat, um Sie absichtlich zu verletzen oder selbst absichtlich unangenehm aufzufallen. Wut ist ausschließlich eine Reaktion auf negative Reize und Bedrohung. Es ist eine reine Abwehr-, Angst-, oder Schutzhaltung. Oftmals wissen die Kinder nicht, wie sie sich in einer bestimmten Situation verhalten sollen. Somit ist der Wutausbruch die einzige Möglichkeit. Kinder mit ADHS und Autismus sind den ganzen Tag starken Reizen und Stress ausgesetzt. Dies führt zu ständigen Überforderungen. Verbote können Sie oft auf Grund Ihrer verschobenen Wahrnehmung überhaupt nicht nachvollziehen. Wutausbrüche in Schule oder Kindergarten sind meist häufiger zu beobachten, als zu Hause im geschützten Bereich. Das liegt daran, dass außerhalb der ruhigen und gewohnten Umgebung viele Reize auf die Kinder zukommen, die ungefiltert ins Gehirn wandern. Sie wissen sich dann nicht anders zu helfen, als mit Aggression darauf zu reagieren. Wenn man die Wutausbrüche richtig versteht, nämlich als Zeichen für ein Bedürfnis, z.B. nach Ruhe, Aufmerksamkeit oder Verständnis, dann kann man auch angemessen reagieren. Man neigt schnell dazu, mit dem Kind in den „Kampf“ zu gehen. Dagegen zu halten, selbst laut zu werden oder es sogar fest zu halten, sind hier keine angemessenen Maßnahmen. Ich versichere Ihnen, dadurch erreichen Sie genau das Gegenteil. Der Stress für das Kind wird größer, es ist noch mehr überfordert und die Wut und die Aggressionen werden noch schlimmer. Ziel der Erziehung und Unterstützung sollte es langfristig sein, den Kindern das richtige Handwerkszeug an die Hand zu geben, wie sie ihr Verhalten bzw. ihre Emotionen selbst regulieren können. Das ist ein sehr langer Weg und fordert viel Geduld. Es wäre nicht der Wahrheit entsprechend, wenn ich sage, dass Sie die Wutausbrüche Ihrer Kinder auch mit diesen Ratschlägen schnell in den Griff bekommen. Die Verhaltensregulation bei Kindern mit einer Diagnose ist eine Aufgabe, die Sie über Jahre beschäftigen wird. Es gibt bestimmte typische Reaktionen der Eltern. Ich möchte Ihnen erklären, warum diese nicht hilfreich sind. 1. Vorwürfe Wie bereits oben beschrieben, ist die Wut eine Reaktion auf ein bestimmtes Bedürfnis. Das Kind wird sich völlig unverstanden fühlen. Es fühlt sich nicht wahrgenommen und allein gelassen 2. Belohnen oder bestechen Ein Kind zu belohnen, wenn es aufhört wütend zu sein, ist wenig nützlich. Es lernt dadurch das Gefühl zu unterdrücken, es wird jedoch niemals lernen mit den Wutgefühlen umzugehen. Auch bestechen bringt nur kurzfristig etwas und hat den ähnlichen Effekt wie die Belohnung. Sie haben ihr Kind nur kurzfristig manipuliert 3. Bestrafen Meistens höre ich den Satz: “Dieses Verhalten muss doch Konsequenzen haben.“ Nein! Durch Bestrafung erreichen Sie nur, dass das aktuelle Bedürfnis nicht gesehen und beachtet wird. Das Kind wird sich schuldig fühlen. Viel schlimmer noch, es lernt keine angemessene Strategie, die Wutgefühle angemessen zu regulieren. Vergessen Sie nie, Sie wollen Ihr Kind auf das spätere Leben vorbereiten. Noch steht es unter Ihrem Schutz und Sie können es unterstützen. Aber was ist denn nun die angemessene Reaktion auf die Wutausbrüche? Sicherlich muss ich hier gestehen, dass es kein Patentrezept gibt. Jeder Mensch ist anders und auf jedes Kind muss sehr individuell eingegangen werden. Aber es gibt durchaus ein paar gute Ratschläge, die auch bei uns immer gut gewirkt haben. 1. Wut akzeptieren und ruhig bleiben Akzeptieren Sie den Wutausbruch zunächst einmal. Fühlen Sie sich nicht angegriffen oder verletzt. Werden Sie sich bewusst, dass Ihr Kind jetzt in diesem Moment gestresst und überfordert ist und ein Bedürfnis zum Ausdruck bringt. Bleiben Sie auf jeden Fall ruhig. Atmen Sie tief durch. 2. Gib der Wut einen Raum und bring Ruhe rein Schaffen Sie einen Raum, wo Ihr Kind seine Ruhe finden kann. Der Raum sollte möglichst wenig Reize haben. Es ist hilfreich, wenn die Kinder die Stresssituation verlassen können. Das wird anfänglich vielleicht noch nicht gut funktionieren. Mit der Zeit lernen sie aber den Raum zu nutzen. Den Kindern hilft es oft, mit der Wut erstmal alleine zu sein und sich abzureagieren. Bis sie wieder runtergefahren sind, bringen weder Gespräche etwas, noch ständiges auf das Kind einreden. Ich habe bei meinem Sohn Sätze verwendet wie: „Geh auf Dein Zimmer und komm erst mal runter. Ich verstehe, dass Du wütend bist. Wir reden später darüber.“ Meistens kamen dann erst mal böse Beschimpfungen, trampeln auf der Treppe oder lautes Gebrüll. Es flogen auch schon mal Bücher oder andere Gegenstände durch das Zimmer. Das können Sie aber in dem Moment nicht verhindern. Jedes Verhindern kostet enorm viel Kraft, insbesondere wenn die Kinder größer werden. Jedes Dagegenhalten macht die Situation nur noch schlimmer bis hin zu körperlicher Aggression gegenüber den Eltern. Werden Sie nicht laut, Ihr Kind wird nur noch lauter antworten und noch wütender werden. Seien Sie vor allem ein gutes Vorbild. Ihre Ruhe wird sich langfristig auf Dein Kind übertragen. Reagieren Sie immer mit Lautstärke, wird es nur lernen, dass „schreien“ und „laut sein“ eine normale angemessene Reaktion ist. 3. Begleite die Wut unterstützend Nicht alle Kinder wollen sich zurückziehen. Es hilft auch z.B. Bewegung an der frischen Luft. Insbesondere in der Schule. Mein Sohn durfte in der Grundschule in solchen Situationen alleine auf den Schulhof und dort ein „paar Runden drehen“. Das hat ihm gut getan und er hat es immer gerne angenommen. Bei körperlichen Aggressionen hilft auch ein Boxsack oder ein Wutkissen, um die körperlichen Ausbrüche abzubauen und aufzufangen. In der Schule hatte mein Sohn immer einen Stressball. Dieser kann auch zu Hause angewendet werden. Die Kinder haben so einen Reiz in der Hand, an dem Sie Stress auslassen können, durch das Kneten des Balls 4. Gehe auf Dein Kind ein, führe das Gespräch Wenn die Aggressionen vorüber sind, sollte unbedingt das Gespräch gesucht werden. Denn der Auslöser muss in Erfahrung gebracht werden, das Bedürfnis des Kindes besprochen und zu guter Letzt das Verhalten aufgearbeitet werden. Bei uns war es so, dass nach der Wut die Sturheit kam. Das höre ich auch oft bei anderen Kindern. Mein Sohn konnte nicht über seinen Schatten springen, um mit mir zu sprechen. Er saß angespannt mit verschränkten Armen vor mir und hat die Wand angestarrt. Wir haben mit den Jahren hierfür ein kleines Ritual entwickelt, was ihm hilft aus der Angespanntheit herauszukommen. Wir drehen den Zeiger sprichwörtlich auf „Null“. Und genau so sage ich das auch: „Wir beginnen jetzt von ganz vorne. Alles was gerade passiert ist, ist vergeben und vergessen. Wir drehen jetzt den Zeiger auf null“. Mittlerweile weiß er genau, dass ich mein Wort auch halte und er sich darauf verlassen kann. Ich merke regelrecht, wie die Anspannung aus dem Körper weicht. In diesem Moment möchte ich nur eine entspannte Atmosphäre schaffen. Ich helfe ihm dann beim Aufräumen des Zimmers oder suche ein unverbindliches Gespräch. Jetzt bereits das Wut-Thema zu besprechen ist zu früh. Erst nach einigen Stunden oder abends, wenn Ruhe einkehrt, oder vor dem zu Bett gehen, suche ich das Gespräch. Fragen wie:“ Wie geht es dir?, Was ist eben genau passiert?, Warum genau bist du eben so wütend gewesen? Was kann ich beim nächsten mal tun, um Dir zu helfen?“, können hierbei helfen. Lösen Sie unbedingt das Wut-Thema! Gab es ein Verbot und das hat ihr Kind wütend gemacht? Erklären Sie ihm, warum Sie das Verbot ausgesprochen haben. 5. Sprechen Sie mit Ihrem Kind unbedingt über schlechtes Verhalten und körperliche Aggression. Wenn Sie das Wut-Thema geklärt haben, dann sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Kind über das Verhalten. Sagen Sie ihm, was es nicht gut gelöst hat und geben Sie ihm sofort Möglichkeiten an die Hand, wie es beim nächsten mal besser reagieren kann. Z.B. adäquat auszudrücken, was gerade passiert. Das ist nur möglich, wenn ihr Kind lernt, sich selbst zu spüren, wenn es frühzeitig merkt, wenn Wutgefühle hochkommen. Eine weitere Möglichkeit ist es, ihm immer wieder klar zu machen, die Stresssituation sofort zu verlassen und an einen ruhigen Ort zu gehen. Im Gegenzug ist es wichtig, Ihr Kind zu loben, wenn es eine Wutsituation gut gelöst hat, z.B. wenn es sofort die Situation verlassen hat. Die Emotion Wut ist vollkommen in Ordnung. Aber auch Autismus und ADHS ist keine Entschuldigung für körperliche Aggression. Machen Sie das Ihrem Kind unbedingt klar. Bei körperlichen Aggressionen sind neben dem Gespräch IMMER! Konsequenzen fällig. Dehnen Sie Ihre Konsequenzen nicht über einen langen Zeitraum aus. Es reicht z.B. schon am gleichen Tag etwas früher ins Bett, keine Technik für den Tag oder was dem Kind sonst an diesem Tag wichtig wäre. Ebenfalls darf es wissen, dass es Ihnen weh getan hat, wenn es Sie geschlagen oder getreten hat. Es muss im Laufe der Jahre klar werden, dass körperliche Aggression sozial niemals gerechtfertigt ist, so stark die Wut auch ist und das es immer einen anderen Ausweg gibt. 6. Gebe dem Kind langfristige Strategien an die Hand und stellen Sie sich visuell dar Eine Empfehlung kann ich an dieser Stelle weitergeben. Gestalten Sie mit ihrem Kind gemeinsam ein Plakat mit der Überschrift der Wutausbruch. Bringen Sie hier auflockernde Zeichnungen und Bilder auf, die visuell darstellen, wie ihr Kind sich verhalten kann. Fügen Sie Texte ein, wenn Ihr Kind lesen kann. Beispiel: 1. Wut spüren 2. Nicht schreien 3. Keine körperliche Gewalt 4. Situation verlassen 5. Atemübung oder an die frische Luft gehen 6. Wutkissen benutzen 7. Wenn Ruhe eingekehrt ist, mit Mama und/oder Papa sprechen Hängen Sie das Plakat an einen gut für Ihr Kind sichtbaren Ort im Zimmer auf, damit es die Strategien immer wieder sieht, vor allem in ruhigen Momenten.